Charisma durch Empathie statt Egomanie

Charisma durch Empathie statt Egomanie

Das Zerrbild, das häufig immer noch mit Führungstärke verbunden wird, ist das des durchmarschierenden Alleinherrschers und –entscheiders: entschlossen, rücksichtslos, egoman. Dabei ist längst bewiesen, dass das wichtigste Kriterium für eine effiziente Führung von Unternehmen und Mitarbeitern Empathie ist, also die Fähigkeit zum Zuhören und zur Zuwendung. Darin liegt der Schlüssel zu einem mitreißenden Charisma, das erfolgreiche, krisenfeste Führungspersönlichkeiten auszeichnet – in der Politik genauso wie in der Wirtschaft.

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Je stärker Führungskräfte unter Druck geraten, desto stärker tendieren sie zu einem Aktionismus, der von automatischen, oft unreflektierten, einsamen  Entscheidungen geprägt ist. Diese Kurzschlüsse sind gekennzeichnet durch übermäßige Vereinfachung, begrenztes Interesse an überraschenden Lösungen und eingefahrene Entscheidungsmechanismen. Für differenzierte, neue Betrachtungen und Diskussionen fehlt in der Regel die Zeit im „power stress“, aber es fehlt auch der Wille, anderen Optionen Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das kann besonders dann gefährlich werden, wenn auf unerwartete Veränderungen außerhalb der eingefahrenen Gleise reagiert werden muss.

Dann sind neue Ideen von Experten gefragt. Sie proaktiv zu involvieren und ihnen in einem konstruktiven Dialog zuzuhören, zeichnet echte Führungsstärke aus. Denn diese Dialogfähigkeit ist unerlässlich für die Entfaltung von Charisma, dem entscheidenden Erkennungszeichen überzeugender Führungspersönlichkeiten. Es stützt sich auf die 3 Kernelemente Präsenz, Macht und Wärme – so jedenfalls Olivia Fox Cobane, die an den Universitäten von Harvard, Yale, Stanford gelehrt hat und heute Topmanager der führenden US-amerikanischen Unternehmen coacht. In ihrem Buch „The Charisma Myth“[1] definiert sie die entscheidenden Eckpfeiler von Charisma wie folgt:

– Präsenz wird durch volle Aufmerksamkeit für die Gedanken und Belange anderer erzielt.

 

– Macht entsteht durch die Wahrnehmung als jemand, der auf Basis dieses Inputs klare Entscheidungen trifft und damit einen positiven Einfluss auf die Welt um ihn herum nimmt.

 

– Wärme entfaltet sich durch die Eigenschaften wohlwollend, altruistisch, mitfühlend und unbedingt gewillt, damit einen positiven Einfluss auf die Welt zu nehmen.

Charisma ist also immer eine Beziehungskiste, die von Empathie geprägt ist. Das gilt sowohl für den permanenten Dialog mit der jeweiligen Zielgruppe (Mitarbeiter, Geschäftspartner, Wähler) als auch für den Stil der Machtausübung. Darüber hat Dacher Keltner, Professor für Psychologie an der Universität von California, Berkeley, jahrzehntelange Studien betrieben, deren Ergebnisse er jetzt in seinem neuesten Buch „The Power Paradoxum“ publiziert hat. Seine wichtigsten Thesen[2]:

– Macht gestaltet sich über das, was andere über einen denken, denn das ist ausschlaggebend für ihre Bereitschaft, sich von jemandem beeinflussen zu lassen.

 

– Für eine nachhaltige Machtsicherung sind Freundlichkeit und Zugewandtheit zu anderen entscheidend; Machtmenschen sollten nie vergessen, dass es die anderen waren und sind, die ihnen Macht gegeben haben.

 

– Großzügigkeit, Dankbarkeit und Respekt sind die größten und effizientesten Entlohnungen. Denn Macht entfaltet sich am wirkungsvollsten, wenn sie andere aufwertet, würdigt und ebenfalls ermächtigt.

Bleibt abschließend die Frage zu klären, warum es trotz dieser Erkenntnisse immer noch Führungsfiguren wie Trump gibt, die mit aggressiver Egomanie alle in ihrem Umfeld platt machen. Die traurige Wahrheit: es gibt immer noch genügend Leute, denen eine klare Ansage von oben lieber ist als Einbindung auf Augenhöhe. Aber je aufgeklärter und emanzipierter die Wähler oder Mitarbeiter sind, desto weniger verfängt dieses alte Modell und empathisches Charisma wird zur entscheidenden Führungsstärke.


[1] Olivia Fox Cobane, THE CHARISMA MYTH, Penguin Group (2012)

[2] http://greatergood.berkeley.edu/article/item/how_to_find_your_power_avoid_abusing_it

 

 

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